Teilweise zerstörtes und von Einschusslöchern übersätes Haus bei Faqra.
Kriege – egal welcher Art und egal wo sie stattfinden – sind etwas Schreckliches:
sowohl in der Zeit des Krieges als auch noch Jahrzehnte danach – u.a. durch ihre
posttraumatischen Auswirkungen.
Kriege – es trifft meist das einfache Volk, Millionen von Unschuldigen, Männer,
Frauen, Kinder, Babys und alte Menschen.
Es gab und gibt leider viel zu viele Kriege und auch Kriegsfilme auf der Welt, die nur
auf „Action“ aus sind. Sind wir Außenstehenden durch die täglichen Nachrichten aus
Kriegsgebieten schon abgestumpft? Wissen wir überhaupt, was Krieg wirklich
bedeutet?
Keiner, der den Krieg nicht miterlebt hat, kann sich vorstellen, welche
körperlichen und seelischen Wunden er bei den Überlebenden hinterlässt.
Manche dieser Wunden werden verdrängt und treten erst Jahrzehnte später auf.
Auch ich vermag es hier nicht in Worten auszudrücken. Und trotzdem möchte ich nur
ein paar einfache und doch prägende Beispiele, die lebenslang nachwirken, für Leser
ohne hautnahe Kriegserfahrung versuchen aufzuzeigen. Millionen von weiteren
Beispielen (aus aller Welt) wären anzufügen…
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- Erlebnisse eines Kindes
Wie ergeht es einem Kind, dessen Mutter sich bei einem Raketenangriff
schützend über es warf? Als der Angriff vorüber war, lag es unter dem
blutüberströmten leblosen Körper der Mutter. Wie kommt es über dieses Trauma
hinweg? Ist das überhaupt möglich? Wie bekommt dieses kleine Mädchen sein
Leben in den Griff? Zunächst verstummte es. Das Mädchen sprach nicht mehr.
Es zog sich in sich hinein, in seine eigene Welt. Es klemmte sich an seinen Vater
und wich nicht mehr von seiner Seite. Keiner durfte es anfassen – denn sonst
bekam es einen Schreikrampf. Keiner durfte sich ihm nähern außer seinem Vater
– und das für eine sehr sehr lange Zeit. Erst ganz allmählich taute es wieder auf…
Doch bei jedem Laut oder Explosion einer Rakete verstummte es wieder. Der 15-
jährige Bürgerkrieg war ja noch nicht zu Ende…
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Jahre später, nun ist das Mädchen erwachsen und eine junge Frau. Sie ist mit
einem liebevollen und fürsorglichen Mann verheiratet. Selbst jetzt braucht die in
der Kindheit traumatisierte Frau immer noch nicht nur seelische Unterstützung,
sondern auch Unterstützung im Alltag:
Sie hat z.B. Angst Auto zu fahren. Sie könnte ja einen Unfall bauen und andere
verletzten. Dabei ist ein Auto im Libanon fast unerlässlich, vor allem wenn man
Kinder hat. Denn die öffentlichen Verkehrsmittel sind lange nicht so weit
ausgebaut wie in Deutschland, vor allem wenn man außerhalb der Großstädte
lebt.
Oder sie geht zum Arzt, denn sie ist oft krank – Krankheiten, die durch den
tragischen Verlust ihrer Mutter herrühren. Oft holt sie ihre teuren verschriebenen
Medikamente aus der Apotheke – aber sie nimmt sie nicht ein. Die Logik, dass sie
sich das Geld dann hätte sparen können, kommt bei ihr nicht an. Kein gutes
Zureden hilft.
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Außenstehende merken ihr kaum an, dass sie an posttraumatischen
Auswirkungen leidet. Vielleicht bemerken sie, dass die junge Mutter mal sehr
dünn und ein paar Jahre später eher dicklicher ist. Das liegt aber nicht immer an
ihrem Essverhalten, sondern auch an den Medikamenten, die sie einnehmen
muss. Ihr Vater, ihre Geschwister und nun sogar auch ihre Kinder bekommen die
Auswirkungen des Krieges dafür umso mehr mit – und das täglich! Am Anfang
konnte sie keine Mutterliebe entwickeln. Vor was hatte sie Angst? Dem Kind weh
zu tun? Erst heute, die Kinder gehen nun in die Schule, getraut sie sich Auto zu
fahren. Der Grund? Eines ihrer Kinder hatte einen Unfall und sie war die einzige
zu Hause, die ihn durch eine Fahrt ins Krankenhaus retten konnte. Diesmal siegte
die Mutterliebe über die Angst…
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Viele Kriegskinder,
die heute erwachsen sind, haben psychologische Probleme. Nur wer es sich finanziell
leisten kann, geht zum Arzt oder in eine Behandlung – die
meisten Libanesen aber können sich dies nicht leisten. Es gibt keine (offizielle) „Auffangsstation“ für
Kriegsgeschädigte – da müsste wahrscheinlich jeder dritte (?) Libanese
hin. Auch die Kinder, welche nach dem Krieg geboren wurden, haben es nicht einfach,
da viele Eltern u.a. innerlich sehr nervös und gestresst sind, bzw. an
den grausamen Erlebnissen von damals noch leiden – aber nicht darüber
sprechen. Die häusliche Gewalt nimmt zu, vor allem, wenn wie 2006 wieder Bomben
fallen.
Auf www.youtube.com lässt der Musik-Videoclip „To
Lebanese Chrildren“, der den libanesischen
Kindern im Krieg gewidmet ist, erahnen, was Krieg bedeutet. Es werden u.a. verletzte
Kinder und weinende Eltern, Angehörige und zerstörte Häuser gezeigt.
Der oft wiederholte Satz „Ma tibke – ana behabak“ bedeutet: „Weine
nicht! – Ich liebe dich!“
Der Videoclip zeigt nicht nur die grausame Zerstörung, sondern auch den innigen
Wunsch der gebeutelten Bevölkerung nach anhaltendem Frieden.
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- Jungs, Jugendliche und Männer
Männer, die im Krieg im Militär oder in einer Miliz gekämpft haben,
erzählen meist nichts von ihren traumatisierenden Erlebnissen und Alpträumen.
Sie weigern sich darüber zu sprechen. Andere dagegen prahlen in ihrer Gruppe
wie viele Gegner sie erledigt haben. Ist das dann nur ein Gehabe, um von den seinesgleichen
Anerkennung zu erhalten? Anerkennung, die sie sonst nicht bekommen (haben)?
Aus Jugendlichen werden Ehemänner
Vor allem Jungs, Jugendliche und Männer mussten „hart sowie gefühllos“ sein
und sich gut mit einem Pokergesicht im Krieg verstellen können. Das war in
dieser Zeit notwendig, um selbst entweder beim Militär, in einer Miliz oder
auch allein zu überleben. Somit haben viele die zwischenmenschliche Charakterzüge
für ein friedliches und mitfühlendes Zusammenleben nicht gelernt, verlernt
und/oder nie erfahren. Manche kamen schon als Junge in ein „Lager“ um
für den Krieg ausgebildet zu werden, vor allem Waisen. Und nun sollen sie im
Frieden diese zwischenmenschlichen Eigenschaften plötzlich aufbringen? Wie nur?
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Für sie meist eine unmögliche Aufgabe! Nicht wenige von ihnen gingen ins
Ausland, u.a. eine andere Nationalität zu erhalten und ein neues Leben zu beginnen.
Aber das Land, die Familie und Freunde lassen sie nicht los. Sie finden oft ausländische
Frauen und heiraten sie, um z.B. den deutschen Pass zu erhalten. Einige dieser deutschen
Frauen haben selbst oft wenig Halt und Geborgenheit in ihrem Leben erfahren und fallen
nun auf die poetische, aber gezielt eingesetzte Sprache der Libanesen herein. Den Männern
fehlen aber oft das Mitgefühl und andere Eigenschaften für ein glückliches
Eheleben. Ihre Ehen gehen daher oft zu Bruch und die Frauen stehen am Ende alleine
da – meist ohne ihre Kinder:
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Mache Männer fliegen mit den Kindern (mit oder
ohne Frau) in den Libanon, um die Familie zu besuchen, kommen aber nie wieder zurück.
Oder alle fliegen in den Libanon – manchmal mit dem ausdrücklichen Ziel,
dort für immer zu bleiben. Wenn es den ausländischen Frauen dann aber nicht
gelingt, sich in eine fremde Sprache, Kultur und meist auch in eine andere Religion
einzugewöhnen und deshalb auch nicht von der Familie des Mannes akzeptiert
zu werden, stehen sie alleine da – manchmal geschieden (im Islam geht das blitzschnell)
und ohne Kinder. In solchen Fällen sieht man wie wichtig und mächtig Familien und Beziehungen sind. Die ausländischen Frauen stehen dann dieser „Macht“ hilflos
und machtlos gegenüber. Man sollte aber wissen, dass bei den Sunniten laut religiösem
Gesetz die Kinder normalerweise der Mutter zugesprochen werden. Aber allein und in
einem fremden Land ist es schwer dieses Recht durchzusetzen. Sind es Frauen aus dem
deutschsprachigen Raum, wenden sie sich in ihrer Not an ihre Botschaft. Diese versucht
dann meist Kontakt mit der Evangelischen Gemeinde zu Beirut aufzunehmen, welche versucht
zwischen den Parteien zu vermitteln. Hierzu hat Frau Friederike Weltzien, die damalige
deutsche Pfarrerin (in Beirut von 1999 - 2008) in ihrem Buch „Warum musstest du sterben, Fidaa?“ einige
Beispiele beschrieben. Verscheidene Interviews von ihr können Sie im domradio.de nachhören.
Aber ich möchte hier nicht den Anschein wecken, dass alle libanesischen Männer
keine guten Ehemänner sind!!! Die Libanesen sind im Allgemeinen für ihre
Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Feiern in Gruppen, auch mit Fremden, bekannt.
Viele von ihnen haben auch einen großen Familiensinn und machen alles für
ihre Frau und Kinder.
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- Grüne Linie
Bourj el-Murr: Dieses Hochhaus war im lib. Bürgerkrieg wegen seinen Heckenschützen sehr
berüchtigt.
Grüne Linie – was für ein friedlicher, hoffnungsvoller Name, oder?
Nicht in der Hauptstadt Beirut. „Die grüne Linie“ in Beirut war ein Straßenzug, der
den westlichen moslemischen Stadtteil vom östlichen christlichen Stadtteil scharf
abgrenzte. Scharfschützen sorgten dafür, dass keiner diesen Straßenzug
überquerte. Das ca. 35-stöckige Gebäude „Bourj el-Murr“, das auch heute noch so steht, war ein
idealer Platz für Scharfschützen und Heckenschützen.
Woher kommt dann der Name „grün“?
Ganz einfach, wenn eine Straße nicht mehr vom Menschen benutzt wird, erobert
sich die Natur ihr Gebiet zurück. Gräser und Blumen, sogar Bäume finden Halt im Asphalt. Die
Straße wird mit grünen Pflanzen begrünt. Wie die Berliner Mauer Ost- und West-
Berlin teilte, teilte die grüne Linie Beirut in Ost- und West-Beirut. Aber diese Linie
bzw. unsichtbare Mauer ist auch noch Jahre nach dem Krieg in den Köpfen der
Menschen. Manch einer der Christen oder Moslems hat keinerlei Bedürfnis „auf
die andere Seite“ zu gehen – obwohl von der damaligen Gefahr längst nichts
mehr vorhanden ist. Die Angst sitzt aber immer noch tief in den Menschen, die
den libanesischen Bürgerkrieg in Beirut miterlebt hatten.
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- Das andere Stadtviertel
In vielen Stadtvierteln in Beirut oder anderswo im Libanon gab es blutige
Straßenschlachten. Milizen u.a. durchkämmten jede Wohnung. Heckenschützen
zielten genau. Viele Unschuldige starben auf grausame Weise. Bis heute
vermeiden viele Libanesen bestimmte Stadtviertel. Sie bekommen panische
Angst, wenn sie unerwarteter Weise z.B. als Beifahrer durch diese Viertel gefahren
werden und bitten den Fahrer, sie so schnell wie möglich aus dieser Gegend zu
bringen. Auch hier sitzen die alten Erinnerungen tief und kommen sofort wieder
an die Oberfläche, sobald sie mit der damaligen grausam erlebten Gegend konfrontiert
werden.
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- Orangenes Feuerwerk
Holiday Inn in Beirut: Noch heute sichtbare Spuren des libanesischen Bürgerkriegs.
Die Raketen fliegen. Ich beobachte sie von meinem Balkon aus. In der Dunkelheit
sieht das Schauspiel „toll“ aus. Aus einer Richtung kommt die Rakete an, aus der
Gegenrichtung die Abwehrrakete der libanesischen Armee. Ich wusste gar nicht,
dass wir dort Abwehrraketen haben! Da die Fluglinien nicht auf unseren Balkon
zielten, blieb ich neugierig auf dem Balkon stehen. Die Lichter in der Wohnung
hatten wir längst ausgeschaltet. Es war ein schönes, aber zugleich schauriges
Feuerwerk. Leider werden durch dieses Feuerwerk viele Leben und Wohnungen
zerstört.
Feuerwerk, diesmal Jahre nach dem Krieg. Familienmitglieder und Freunde laden
mich zur Silvesterparty ein. Für mich ist jedoch der Silvesterabend schon immer wie jeder
Abend im Jahr. Feuerwerk – ich habe all die Kriegsjahre genug davon gesehen…
Dankend lehne ich jede Einladung mit der Begründung ab, ich hätte schon eine
Einladung. Ich möchte ihnen den Spaß, das neue Jahr feiernd zu begrüßen, ja nicht verderben…
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- Minen
Eine weitere traurige Wahrheit sind die immer noch viele verstreuten Landminen bzw. Tretminen im
Libanon. Daher sollte man bei Wanderungen und Ausflügen immer einen einheimischen
Führer oder Begleiter dabei haben. Die meisten Minen liegen wohl im Südlibanon,
d.h. aber nicht, dass der Rest des Landes minenfrei sein!!! Leider gibt es kaum Warnhinweise
auf die Minen (algham, ألغام) und oft sind sie nur auf Arabisch.
Deshalb verlieren heute noch, wie in vielen ehemaligen Kriegsgebiete, Unschuldige
und vor allem Kinder ihr Leben, ihr Bein oder ihren Arm.
Der Krieg geht somit auch
bis heute weiter und zerstört friedliches Zusammenleben – auch
ohne fallende Bomben und Raketen.
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- Der Krieg ist Schuld!
Brauch man einen Sündenbock,
wenn etwas nicht funktioniert, muss oft der „Krieg“ herhalten,
z.T. bis heute noch: so zum Beispiel für
die schlechte Wasser- und Stromversorgung, die schlechte Infrastruktur und Wirtschaftslage….
Nun ja, das mit der Stromversorgung stimmt zum Teil. Bei Angriffen auf den Libanon
werden gezielt immer zuerst die Stromfabriken bombardiert und zerstört. Ein
Wiederaufbau nach den Unruhen bzw. Krieg ist teuer und braucht seine Zeit.
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- Heirat nur wegen den Papieren
Es kann Ihnen als europäische Frau im Libanon durchaus passieren, dass Sie von einem Libanesen,
egal ob Christ oder Moslem, offen angesprochen werden, ihn wegen den Papieren zu heiraten – „Nur zum Schein!“, so seine Begründung. Sie erhoffen sich u.a. die Freiheit, ohne Hindernisse der langwierigen Visumanträge und Ablehnungen auch in andere Länder reisen zu können oder im „reichen“ Westen ihr Glück zu machen und viel Geld zu verdienen. „Und wer weiß, vielleicht klappt es ja auch mit uns – wenn nicht, lebt jeder sein Leben“, so der nächste Satz des Heiratswilligen.
Auf der Webseite
DoYouNeedVisa können Sie die wenigen Länder (37!) sehen, in welche ein Libanese ohne Visum einreisen darf.
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- Krankheiten, die es überall gibt
Viele Volkskrankheiten werden durch Stress gefördert, wie z.B. die
Managerkrankheit. Auch ist bekannt, dass Stress den Blutzucker erhöht. Ärzte
und Menschen im Libanon erzählen heute viel über Krankheiten, welche durch
den langen 15-jährigen Bürgerkrieg und den ständigen Unruhen immer mehr zum
Vorschein kommen, die so genannte posttraumatische Krankheiten. Man hört
immer mehr von solchen Fällen, wenn man mit der Familie, den Freunden,
Bekannten oder Nachbarn zusammen sitzt. Auch waren und sind bis heute viele Libanesen
durch die ständige Angst und z.T. traumatischen Erlebnisse sehr gereizt. Schon
bei Kleinigkeiten steigt ihr Blutdruck in die Höhe. Ein paar Jahre nach dem libanesischen
Bürgerkrieg geschah folgendes in Beirut:
„Du Idiot hast mir die Vorfahrt genommen? Na warte!“ Er zog seine Pistole heraus
und schoss. Der Schuss saß. Er fuhr weiter. Die Passanten strömten herbei, um
dem Schwerverletzten zu helfen. Sie hievten ihn in ein Auto, doch noch auf der
Fahrt zum nahe gelegenen Krankenhaus verstarb er.
(Ab und zu hört man immer
noch von solchen oder ähnlichen Affekthandlungen.)
Die kleinen Kinder ahmten das gereizte und ungeduldige alltägliche Verhalten
ihrer Eltern nach. Erst wenn sie erwachsen werden, werden diese Kinder
manchmal etwas gelassener …
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- Libanesische Checkpoints
Im 15-jährgen Bürgerkrieg war es zeitweise z.T. lebensgefährlich
bei Kontrollen an Checkpoints die „falsche“ Religion zu haben oder aus
dem „falschen“ Ort zu stammen. Aber einige Jahre nach dem 15-jährigen
Bürgerkrieg brauchte man Gott sei Dank davor keine Angst mehr zu haben.
Bei dem libanesischen Checkpoints ging es bis 2007 eher darum junge Männer aufzuspüren,
die sich vor dem z.T. gefährlichen bzw. unangenehmen Militärdienst drückten
(ab 4.2.2007
wurde dieser gesetzliche Militärdienst durch das Gesetz Nr. 665) abgeschafft oder es ging/geht um gestohlene Autos und Motorräder zu aufzuspüren. Somit
ist es bis heute immer ratsam Personalausweis bzw. für Ausländer den Reisepass und im Auto alle Autopapiere, (internationalen) Führerschein, Versicherungen
und damals einen kleinen Feuerlöscher (der Pflicht war – dagegen
war/ist ein Rot-Kreuz-Kasten keine Pflicht) dabei zu haben.
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Libanesische Soldatenkontrollstationen erkennt
man an den rot-weiß gestreiften
kleinen Wachhäuschen, an denen oft ebenso rot-weiß gestrichene Benzintonnen
und Autoreifen stehen. Die Soldaten sind immer in Uniform. Sie sind in den letzten
vier Jahren wesentlich weniger geworden.
Im Krieg und auch Jahre danach war die syrische Armee im Libanon mit
ihren eigenen Checkpoints (bis ca. 2005 nach dem syrischen Abzug aus dem Libanon).
Die Soldaten waren meist in zivil gekleidet. Aber an der Farbe der leeren Öltonnen
und dem Checkpoint-Häuschen konnte man sie erkennen. Da man nie wusste, was
oder wen sie suchten, war man immer angespannt, wenn das Auto oder die Papiere kontrolliert
wurden.
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Benimmregeln an libanesischen (und syrischen) Checkpoints
Es ist ratsam als Frau „ordentlich“ im Auto zu sitzen und falls man
einen Rock trägt, sollte man darauf achten, dass er die Knie bedeckt (soweit
möglich). Beim Tragen einer kurzen Hose oder Rockes legt man am besten eine
Jacke oder die Handtasche über die Beine. Man will die Soldaten ja nicht „reizen“.
Natürlich muss man das Fenster herunterkurbeln, die Sonnenbrille abnehmen bzw.
in der Nacht die Innenbeleuchtung im Auto einschalten.
Hält man sich nicht an diese Regeln, bekommt man einen Anschiss oder Schlimmeres,
je nachdem, wie der Soldat gerade gelaunt ist und wie man sich verhält. Mit
Unschuldsmine (bestimmte Regeln musste ich auch durch eigene Erfahrung lernen) und
Freundlichkeit bin ich als Frau immer am besten durchgekommen. Nur nicht den Gegenüber
provozieren.
Für mich waren/sind aber die libanesischen Soldaten nach dem langen
Bürgerkrieg immer
meine „Beschützer“. Sie suchten schließlich die Banditen und Gesetzesübertreter.
Wie sich die Zeiten doch ändern können!
Endlich mal zum Positiven… in der Hoffnung, dass es so bleibt.
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- Sicherheit in der Altstadt Beiruts
Im Zentrum von Beirut um das Parlament, aber auch an anderen wichtigen Regierungsgebäuden kann man libanesische Soldaten und Panzer sehen. Sie sind hier als
reine Vorsichtsmaßnahmen stationiert.
Bei bestimmten Staatsanlässen oder Spannungen oder Demonstrationen im Lande,
sind vermehrt Panzer auf den Straßen zu sehen. Aber davor braucht man keine
Angst zu haben. Man braucht sich ja nicht unbedingt in das Gebiet gehen, wo eine
Demonstration angemeldet ist. Der kleinste Funke kann ausreichen, um neue Unruhen
zu entfachen.
Oft haben die Libanesen (und alle Menschen, die einen Krieg miterlebt haben) nicht
nur eins dieser oder ähnlicher Erlebnisse durchgemacht, sondern mehrere. Eins
allein wäre schon zu viel – und dann gleich mehrere? Dies sollten wir im Kopf
behalten, wenn wir Menschen begegnen, welche aus einem Kriegsgebiet kommen,
sei es als Flüchtling, Illegaler, Asylant, Arbeitnehmer oder Tourist …
Es ist eigentlich ein Wunder, dass die meisten Libanesen trotzdem noch lebensfroh
sind. Nur gibt es auch etliche Libanesen, die müde und ausgelaugt sind, sich aber im
Leben zusammenreißen – soweit es geht.
Als Fremder, als Gast oder Tourist jedoch merkt man von all dem kaum etwas… Man
lernt meist lebensfrohe Libanesen kennen, die großzügige Gastgeber sind.
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- Angst
Angst manifestiert sich in den leidgeplagten Menschen über Jahrzehnte hinweg.
Die Angst ist immer wie ein dunkler Schatten präsent. Die Angst begleitet die
Menschen wie ein Gespenst.
Nicht nur Erwachsene erlebten den 15-jährigen libanesischen Bürgerkrieg. Auch
Kinder wuchsen mit ihm auf. Manche Libanesen legten sich ein „hartes Fell“ zu,
andere zogen sich in ihre eigene Welt zurück, manche lebten ihr „normales“
Leben soweit es ging weiter – aber was heißt hier „normal“? Sie mussten, soweit
möglich zur Arbeit gehen. Denn auch im Krieg musste die Miete und
Nebenkosten sowie Nahrungsmittel bezahlt werden. Oft stiegen die Preise
enorm. In Feuerpausen wurden Kinder in die Schule geschickt. Aber der Lehrplan
konnte unter solchen Kriegsbedingungen kaum eingehalten werden. Die Angst,
ob man selber von der Arbeit oder dem Einkaufen wieder nach Hause kommen konnte und ob die Kinder im Kindergarten oder in der Schule in
Sicherheit waren, war ein alltäglicher Begleiter.
Es wurde oft den Libanesen nachgesagt, dass sie herzlos Partys in Gebieten
feierten, die weniger vom Krieg betroffen waren, während der Krieg in anderen
Gebieten weiter tobte. Waren sie wirklich herzlos oder war es eine der Überlebungsstrategien,
um diese schreckliche Zeit zu bewältigen? Die Angst war immer dabei – auch auf
Partys, wenn auch für kurze Zeit unterdrückt.
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Die Angst bleibt – immer und überall. Wer wirkliche große, tief sitzende Angst
kennt – egal in welcher Form – weiß, wie schrecklich solch ein Leben ist. 15 lange
Jahre Bürgerkrieg, im Südlibanon durch die Besetzung Israels sogar noch länger. All die vielen Jahren in ständiger Angst – das sitzt tief. Diese Zeit ist nicht einfach
durch einen Friedensvertrag auszulöschen. Jede Seele im Libanon ist tief verwundet und in
Mitleidenschaft geraten – falls man nicht sonst nicht noch körperlich verletzt
wurde. Und was ist mit all den Familienmitgliedern, Verwandten, Nachbarn und
Freunden, die man verloren hat ... Vom Finanziellen (Wohnung/Haus beschädigt
oder zerstört…, was kaum jemand ersetzt) ganz abzusehen.
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Nach den 15 Jahren libanesischer Bürgerkrieg kehrte zeitweise wieder Frieden
ein. Zeitweise, denn es gab auch danach unruhige Zeiten mit Autobomben und
Bombenanschlägen. Nicht zu vergessen 2006 und auch heute kann jeder Zeit wieder ein Krieg im Libanon losgehen. Was bedeutet hier also Frieden?
Innerlich kocht es bis heute im Libanon und die Situation an den angrenzenden Ländern Syrien und Israel/Palästina vergrößert nur die Gefahr, dass der Libanon wieder in einen neuen Krieg hineingezogen wird. Keiner weiß, wann es wieder losgeht.
Das Ausland bekommt über die Nachrichten nichts oder nur am Rande etwas mit.
Aber die Libanesen im Libanon verfolgen sehr genau, was politisch in ihrem
geliebten und auch manchmal verhassten Land passiert. Sie kennen die Namen
ihrer Minister, religiösen Anführer und andere wichtiger Köpfe gut. Wann gibt es
die nächsten Unruhen? Wer wird diesmal beginnen? Was wird diesmal als
Auslöser dienen? Wo wird es diesmal anfangen?
Wird meine Familie dann in
Sicherheit sein? Sind die Kinder in der Schule sicher? Können sie unversehrt
nach Hause kommen? Steht dann noch unser Zuhause?
All das sind Fragen, die unterschwellig immer da sind. Man versucht sie zu
unterdrücken, um ein „normales“ Leben führen zu können. Manchmal gelingt es,
oft aber nicht – aber es muss, wenn man überleben will, ohne verrückt zu werden!
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2006 fing dann alles wieder von vorne an. Hoffte man, dass die neue Generation
ohne Krieg aufwachsen könnte – wurde diese vage Hoffnung jäh zerstört. Zerstört
wurden auch viele Häuser, aber nicht die alten Kriegserinnerungen. Diese waren
wie der Blitz wieder vor den Augen. Auch der Muskelkater und die zitternde Knien
waren wieder da – ganz ohne Sport. All das lernte die neue Generation nun auch
kennen.
Nun haben wir 2014. Wie lange wird diesmal der „offizielle“ Frieden
andauern? Den psychischen Frieden, den gibt es nicht. Die Erinnerungen sitzen
bei den meisten Libanesen zu tief. Sie bleiben ein Leben lang… Jetzt liegt es an
der einzelnen Person, wie sie damit fertig wird, und am Halt sowie an der
Unterstützung der ebenfalls traumatisierten Familie. Denn von woanders her gibt
es keine Unterstützung. Es werden keine Psychologen vom Staat oder von
Organisationen wie bei schrecklichen Kurzereignissen auf der Welt für die
Libanesen, welche es dringend bräuchten, bereitgestellt. Auch nicht für die vielen
Flüchtlinge
aus
anderen Ländern im Libanon.
Jeder muss für die Behandlung und
Medikamente selber aufkommen. Nur einen kleinen Prozentsatz der Kosten
bekommt man von staatlichen oder privaten Krankenkassen zurückerstattet,
sofern man versichert ist… Und die vereinzelten Hilfsorganisationen können nicht einem ganzen Volk helfen – aber zumindest einigen.
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- Vertrauen
Eng mit der Angst ist auch das Vertrauen in andere Menschen, in Familienclans,
die im Libanon eine große Rolle spielen, in Religionsgruppen und ins Ausland
verbunden, und somit auch zerstört worden. Wie soll ein Mensch je wieder einem
anderen Menschen trauen können, wenn er in einen Hinterhalt geraten ist,
obwohl er nur helfen wollte? Wie soll er zum anderen Familienclan oder
Religionsgruppen Vertrauen finden, die seine Familie und Freunde
niedergemetzelt haben? Wie soll er zu diesen Vertrauen finden, wenn sie seinen
Bruder bei einer Kontrolle erschossen hatten, nur weil er nicht ihrer Religionsgruppe angehörte?
Da ist doch das Vertrauen in die Menschheit grundlegend zerstört worden.
Es braucht wirklich sehr großen Mut, Überwindung und Vergebung um das
Vertrauen wieder zu finden. Und Gott sei Dank gibt es doch viele Libanesen, die
trotzdem wieder mit dem „einstigen Feind“ sprechen und Freunde aus der
anderen Religion haben.
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Woher stammst du?
Das waren noch Zeiten vor dem Bürgerkrieg, als in einem Haus Christen und
Moslems friedlich zusammen wohnten. Als die Moslems Ramadan feierten und die
christlichen Frauen ihren moslemischen Nachbarinnen bei der Zubereitung des
üppigen Abendessens und den zuckersüßen Nachspeisen halfen. Und an
Ostern
oder Weihnachten, als die moslemischen Nachbarinnen halfen. War bei einer
Trauerfeier oder Hochzeit die Wohnung für all die Gäste zu klein, öffnete der
Nachbar ebenfalls seine Wohnung für die Gäste…
In manchen Gebieten ist es auch heute noch oder wieder so. Aber leider ist es
viel zu selten. Im Libanon leben die verschiedenen Gruppen schon lange oft
überwiegend alleine in einem bestimmten Gebiet. So ist auch allgemein bekannt,
welche Stadtteile in Beirut fast nur von Christen oder Moslems bewohnt sind oder
in welchem Dorf welche Religion vorherrscht. Aber es gibt auch Gebiete und Orte,
wo verschiedene Religionen zusammen leben. Manche Religionsgruppen wurden
jedoch im Bürgerkrieg aus ihren Häusern vertrieben. Nach dem Bürgerkrieg gibt es aber staatliche Projekte, dass die Vertriebenen wieder in ihr Dorf und Haus zurückkehren können. 2014 sind angeblich die letzten Vertriebenen im Schufgebiet wieder zurückgekehrt.
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Es ist bei der langen traditionsreichen Geschichte des Landes kein Wunder, dass
es auch schon in früheren Zeiten (als es noch die Stämme und großen Familienclans gab) sehr wichtig war, zu wissen woher einer
stammte und wie er hieß. War er Freund oder gehörte er einem feindlichen Stamm/feindlicher Familie an? Daraus erschloss man seine religiöse und politische
Zugehörigkeit.
Auch heute noch kommt beim sich Vorstellen immer die Fragen
auf: „Wie heißen Sie?“ und „Woher stammen Sie?“. Gemeint ist: in welchem Dorf
oder Stadt hat deine Familie (einst: dein Stamm) ihre Wurzeln?
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Will nicht jeder normale Mensch in Frieden leben? Wenn die Mehrheit der Menschen
dieses gleiche Ziel haben, warum gelingt es uns dann nicht?
Mögliche Antwort: Macht- und Geldvermehrung auf Kosten Unschuldiger….
Ich wünsche allen – egal welcher Religion, Nationalität, Hautfarbe oder Geschlecht –
ein glückliches und friedliches Leben, in dem auch der innere Frieden Einzug hält.
Frieden gelingt jedoch nur, wenn wir nicht das, was der andere hat, auch haben wollen. Der Frieden beginnt vor allem, wenn wir
unseren Mitmenschen, Freunden, Feinden und uns selbst vergeben können.
Lasst uns j e t z t beginnen. Yillah …
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Inschrift am Hard Rock Cafe, Beirut
Das Zeichen V steht oft für das englische Wort „victory“, zu Deutsch „Sieg“. Es ist
das Siegeszeichen. Für den Libanon und die Welt sollte „V“ für folgendes stehen:
- Vergessen: Nein! Wir sollten aus den Fehlern lernen, so dass wir
friedlich miteinander leben können.
- Vergeben: Ja! Nur bei wirklicher Vergebung kann man innerlichen
Frieden finden.
- Verzeihen: Ja! Jeder verhält sich (mal) falsch im Leben und braucht
dann eine neue Chance.
Somit wäre „victory“ der Sieg über seine eigenen negativen, ich-bezogenen und
machthaberischen Gedanken (die bei dem einen mehr und bei dem anderen
weniger stark ausgeprägt sind). Denn mit einem Gedanken fängt alles an…
Gott sei Dank sind die Libanesen wie Steh-auf-Männchen bzw. wie ein Phönix aus
der Asche. Es könnte also gelingen, wenn alle Libanesen und Nicht-Libanesen
mitmachen – und wir nicht auf Führer oder Menschen hören, die zum Kampf und Gewalt aufrufen!
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