Die Rolle der Herkunft


INHALT

 

Den Libanesen sind ihre Wurzeln sehr wichtig. Viele sind sehr stolz darauf, von den Phöniziern und nicht von den Arabern abzustammen. Oft wird das mit sehr viel Humor gesagt.

 

Mentale Landkarte der Libanesen

Wenn man heute eine neue Person im Libanon kennen lernt, ist nach dem Namen die allererste Frage, woher ihre/seine Familie stamme, genauer, es wird nach den „Wurzeln“ gefragt. Mit dem Vor- und Nachnamen wird dann eine Art erste Eingruppierung in die libanesische Gesellschaft vollzogen: Christ oder Moslem? Welche religiöse Untergruppe? Aber auch bekannte Familie? Aus gutem Hause? Die Libanesen haben eine Art mentale Landkarte darüber in ihren Köpfen. Um dies zu verfestigen, hilft der Wohnort der Eltern/Großeltern, also woher man stammt.

Im Laufe der Jahre sind die Libanesen auch innerhalb des Libanons oft freiwillig oder unfreiwillig umgezogen. So ist bei der Frage nach den „Wurzeln“ immer der „Herkunftsort“ gemeint. Denn in vielen Orten oder Regionen im Libanon lebt oft eine Mehrheit einer religiösen Gruppe. Je nach Dorf oder Stadtviertel leben in einem Dorf auch mehrere Religionen zusammen. Mit der Antwort auf die Frage nach der Herkunft hat der Libanese ein erstes Bild seines Gegenübers.

Die Frage nach den „Wurzeln“ ist einfach daher eine höfliche „Abkürzung“ ohne die lästige und unhöfliche Frage nach Religion und Familienhintergrund zu stellen.
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Geschichtlicher Hintergrund

Bei den Arabern ist die Herkunft schon historisch bedingt wichtig. In früheren Zeiten war es lebensnotwendig zu wissen, ob der Gegenüber aus einem befreundeten oder feindlichen Stamm oder Sippe kam. In der neueren Geschichte wie im 15-jährigen libanesischen Bürgerkrieg konnte unter Umständen der Name oder der Ort bzw. die Angaben im Personalausweis über Leben und Tod entscheiden. Hatte man die „falsche“ Religionszugehörigkeit oder den „falschen“ Namen, hatte man sein Leben verspielt. Heutzutage braucht man aber Gott sei Dank nicht mehr um sein Leben zu bangen, solange Frieden herrscht….

Im Libanon ist Politik und Religion eng miteinander vermischt. Daher werden bei Wahlen die aufgestellten Politiker nach ihrer Religion gewählt und weniger nach ihrem politischen Programm. Einige Libanesen kämpfen (2012) darum, dass die Libanesen und Politiker sich nicht nur für die eigenen religiösen Interessen einsetzen, sondern für das Wohl aller im Libanon - egal welcher religiösen Zugehörigkeit.
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Kennen andere oder ich Leute aus seinem Dorf?

Da der Libanon nur halb so groß wie Hessen ist (10.452 km2) und er größenmäßig vier Mal in die Schweiz passt, ist es zudem auch gut möglich, dass man jemanden aus dem Dorf des neuen Gesprächspartners kennt – oder ein Familienmitglied bzw. Freunde kennen jemanden von dort.

Kommt sie/er aus gutem Hause?

Hat eine junge Frau einen Freund, werden – entweder von ihr selbst initiiert oder durch ihren Familien-/Bekanntenkreis – Nachforschungen über die Familie des jungen Mannes betrieben. Auch Freunde kommen auf die junge Frau zu und bieten „Hilfe“ an: „Wenn du willst, fragen wir nach und holen Erkundigungen ein“. Das gilt natürlich auch umgekehrt, wenn ein junger Mann eine Freundin hat. Schließlich will man wissen, mit welcher Familie man es zu tun hat und wen man neu in die eigene Familie mit aufnimmt. Man will ja immer nur das Beste für sein Kind. Top

Ahnenforschung: Woher kommen meine libanesischen Vorfahren?

Es wohnen mehr Libanesen im Ausland als im Libanon selbst. Bei manchen stammen die Eltern, Großeltern oder sogar weitere Vorfahren aus dem Libanon. Manchmal stammen beide Elternteile aus dem Libanon, manchmal aber auch nur einer. Vielleicht gehören Sie ja auch zu denjenigen, die mehr über die eigene libanesische Herkunft bzw. die der Eltern, Großeltern etc. in Erfahrung bringen möchten. Dabei sind folgende Punkte hilfreich:

Im Libanon:
Am erfolgreichsten sind Sie, wenn Sie direkt in den Libanon fahren (so es die politische Situation erlaubt).

Außerhalb des Libanon:

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Entweder können Sie diese googeln oder die Stadt oder den Namen in Wikipedia suchen. Dort am besten unten bei den Links schauen.

Bitte beachten Sie die verschiedenen latinisierten Schreibweisen der arabischen Schrift, die entweder meist dem Französischen oder dem Englischen angeglichen wurden:

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Ehre

Es ist vor allem für junge Frauen sehr wichtig, ihre eigene Ehre sauber zu halten und die Ehre der Familie nicht zu beschmutzen. Verhält man sich nicht so, wie die Gesellschaft es vorschreibt, wird über sie geredet, vor allem im kleinen Libanon. Dann hat man nicht nur als Einzelperson einen schlechten Ruf, sondern auch automatisch die Eltern bzw. die ganze Familie. Insofern besteht allein schon daher ein gewisser Druck, sich der Gesellschaft anzupassen. Leider können auch im Libanon vereinzelt – je nach Region und Familie – Ehrenmorde vorkommen.

Ein Grund, dass eine Frau bis zur Hochzeit bei ihren Eltern lebt ist, dass über sie geredet wird, wenn sie sich eine Wohnung nehmen würde. Die Nachbarn und Leute, die davon wissen reden: "Warum geht sie von ihren Eltern weg? Was macht sie allein in der Wohnung? Klar, sie trifft Männer (und schläft mit ihnen)." Sex vor der Ehe ist im Libanon öffentlich verpönt. Selbst wenn die Frau nur Freunde zum Lernen, Diskutieren oder zum gemeinsamen Zusammensitzen in ihrer Wohnung empfangen würde, wird schlecht über sie geredet. Das will sie ihrer Familie natürlich nicht antun - auch wenn sie dafür ihre sogenannte "Freiheit" einbüßt.
Aber auch die Männer wohnen bei den Eltern bis sie heiraten. In Bezug auf Sex haben sie eine viel größere Freiheit. Es hat kulturelle und finanzielle Gründe, dass die erwachsenen Kindern bis zur Hochzeit bei ihren Eltern leben. Außerdem sind sie dadurch sozial und finanziell abgesichert. Die Familie hat einen sehr sehr hohen Stellenwert in der arabischen und orientalischen Kultur.

Natürlich wird im Libanon erwartet, dass eine Frau als Jungfrau heiratet. Aber die jungen Männer dürfen bzw. sollten vor ihrer Hochzeit sexuelle Erfahrungen sammeln. Nur wie soll die Rechnung da aufgehen? Hatte eine junge Frau nun doch heimlich Sex vor der Ehe, versucht sie aus Not unerkannt in einer Klinik auf eigene Kosten ihr Jungfernhäutchen wieder zunähen zu lassen. Manchmal geht eine Freundin mit. Dieses Thema wurde auch im libanesisch-französischen Film Caramel (2007) von Nadine Labaki aufgegriffen, der auch im deutschen Kino und Fernsehen lief.
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