Am 1. Oktober 2012 schlossen Kholoud Sukkariyah und Nidal Darwish die erste
Zivilehe im Libanon. Diese zivile Ehe (arab. zawaj madani زواج مدني)
wurde durch die Zustimmung von Innenminister (arab. ووزير الداخلية والبلديات) Marwan
Charbel am 25. April 2013 offiziell.
Warum ist dies eine kleine Revolution im Libanon?
Traditionell heiraten
Libanesinnen und Libanesen innerhalb ihrer Religionsgruppe. Also: ein Muslim heiratet
eine Muslima, ein Christ eine Christin. Am liebsten wird es von den Eltern gesehen,
wenn die oder der Zukünftige aus derselben christlichen Konfessionsgruppe stammt
(Die Maroniten unter Maroniten, die Orthodoxen unter den Orthodoxen). Das Gleiche
gilt bei den Muslimen. Ein Schiit heiratet eine Schiitin, ein Sunnit eine Sunnitin.
Bei den Alawiten und den Drusen ist es auch so.
Gott sei Dank
gibt es da auch Ausnahmen. Heiratet z.B. ein Maronit eine Katholikin, behält die
Frau ihre Religionszugehörigkeit und die Kinder erhalten automatisch die Religionszugehörigkeit
des Vaters.
Wenn man doch jemanden aus der anderen Religionsgruppe heiraten möchte (z.B.
Christ heiratet Muslim), muss einer konvertieren. Diese ist auch im staatlichen Familienregister
vermerkt.
Selbst in Schweden heiratet man nur kirchlich. Zivilehe gibt es nicht, so ein Fernsehreporter bei der Hochzeit von der jüngsten schwedischen Prinzessin Madeleine mit dem amerikanischen Banker Chris O´Neill am 8.6.2013.
Etwa 500 - 700 junge Paare pro Jahr (so der Reporter Björn Blaschke), die sich dieser Tradition und Druck nicht aussetzen wollen, heiraten im nahegelegenen Zypern standesamtlich (Einige Reisegesellschaften haben dafür spezielle Angebote). Dies wird dann nach ein paar Formalitäten auch im Libanon anerkannt.
Aber erst im April 2013 wurde die erste zivile Ehe im Libanon geschlossen. Kholoud Sukkariyeh und Nidal Darwish, beide 30 Jahre, hatte über ein Jahr dafür kämpfen müssen. Durch Zufall hatten sie in einem Workshop von einer Bewegung gehört, die für die Zivilehe im Libanon ist. Man muss dabei bedenken, dass das Thema Zivilehe schon 1951 in Angriff genommen wurde. Am 2.6.1998 stimmte das libanesische Parlament einem Gesetztenentwurf zu, welcher vom damaligen Präsidenten Elias Hrawi ausging. Nur verschwand dieser Entwurf dann in den Schubladen des libanesischen Kabinetts.
Mit Hilfe der Gruppe, die für die Zivilehe ist, begannen Kholoud und Nidal
ihre Vorbereitungen dafür – die ersten
zehn Monate zuerst heimlich mit einigen Gesetzesberatern,
um politischen Hindernissen aus dem Wege zu gehen. Aber dann kam ihr Vorhaben doch
heraus. Im Januar 2013 gaben sie öffentlich
bekannt, zivil geheiratet zu haben. Dies brachte eine erneute große Debatte
im Libanon ins Rollen: Dürfen
Zivilehen auch im Libanon geschlossen werden? Die beiden wollten nicht im Ausland
heiraten, sie wollten ein neue Gesetzgebung für die Libanesen im Libanon schaffen.
Sie glauben an einen „Bürgerstaat“. Auch wollten sie als libanesische
Bürger und nicht als Angehörige ihrer Religionsgruppen vor dem libanesischen
Staat stehen, so ihr Anwalt Talal al-Husseini.
Kholoud meinte, laut dem Interview mit Björn Blaschke, sie sollten zu einem „zivilen“ Staat
und nicht zu einem „religiösen Regime“ gehören. Obwohl sie
ihre Religionszugehörigkeit aus dem Familienregister gestrichen hatten, sind
sie immer noch gläubige Muslime. Sie wollten eine Zivilehe eingehen, um damit
ihr Land voranzubringen.
Um sich ihren Wunsch zu erfüllen, im Libanon und nicht im Ausland zivil heiraten zu können, mussten sie u.a. folgenden Papierkrieg erledigen:
Die Grundlage, auf welcher sie heiraten konnten, war der Artikel 25 im Dekret Nr. 60 L.R. (Laws and Regulations) von 1936 aus der französischen Mandatszeit sowie die Einleitung der libanesischen Verfassung, welche die universellen Menschenrechte beinhaltet.
Kholoud Sukkariyah und Nidal Darwish heirateten zivil im Haus der Braut. Die Geschwister des Brautpaares waren die Trauzeugen und der Notar unterzeichnete den Ehevertrag, der später bei den Behörden registriert wurde.
Abe schon vorher haben die beiden nach islamischem Recht geheiratet (lib. katab kteb كتب كتاب), diese Hochzeit aber absichtlich nicht registrieren lassen.
Dieser Ehevertrag wurde aber erst gültig, als der Innenminister Marwan Charbel ihn Ende April 2013 gegenzeichnete. Gleich nach der Legalisierung gratulierte der libanesische Präsident Michel Suleiman dem Brautpaar als erster auf Twitter mit den Worten: „Herzlichen Glückwunsch für die Registrierung des Ehevertrags zwischen Kholoud and Nidal.“
Welche Folgen hat nun die Zivilehe im Libanon?
Die Zivilehe im Libanon kann mehrere Folgen haben:
Kholoud meinte im Interview mit Björn Blaschke: „Wenn du deine Religionszugehörigkeit aus deinem Personalausweis streichen lässt, wirst du z. B. auch auf Grund deiner Qualifikationen eingestellt und nicht, weil du zu der einen oder anderen Religionsgruppe gehörst. […] Das öffnet die Türen zu einem Zivilstaat.“
Viele Libanesen begrüßten diesen Schritt zur Einführung der Zivilehe
im Libanon. Man kann dann in der Heimat heiraten und wenn es später in einer
Familie mehrere Religionsgruppen gibt, dann gibt es in der Zukunft keine Ablehnung
oder Anfeindung der anderen Religionsgruppe.
Aber bestimmten Leuten ist gerader
dieser Punkt ein Dorn im Auge: Das (einfache) Volk wird dann nicht mehr so leicht
zu manipulieren sein. Und da im Libanon Religion und Politik kaum auseinanderzuhalten
sind, ist dieses Thema auch ein heikler Machtkampf. Die religiösen Gruppen fürchten
ihren Macht- und einen Geldverlust. Und all dies nun in der Zeit vor der Präsidentenwahl,
die für Juni 2013 angesetzt ist. Das neue Wahlgesetz ist im April immer noch nicht
beschlossen gewesen – und dann noch die Debatte über die Zivilehe, die
im ganzen Land diskutiert wird.
Marwan Charbel, der Innenminister, beriet mit verschiedenen Juristen den Fall. Auch der Obersten Gerichtshof im Justizministerium unterstützt den Artikel von 1936. Marwan Charbel ist jedoch für eine Zivilehe, in der das Brautpaar seine religiöse Zugehörigkeit behalten darf. Da es bis jetzt noch keine zivilen Heiratsgesetze, Scheidungsgesetze oder Erbgesetze gibt, sollten diese Angelegenheiten dann weiterhin gemäß den religiösen Bestimmungen ihrer Religionsgruppen geregelt werden, so Marwan Charbel.
Mit diesem Präzedenzfall ist nun der erste wichtige Schritt getan, um nun endlich die Zivilehe mit all den notwendigen Gesetzen im Libanon einzuführen. Es wird geschätzt, dass weitere 500 libanesische Paare standesamtlich heiraten möchten.
Das junge paar möchte ihre Kinder nicht "religiös" registrieren lassen. Es wird in den Papieren stehen: "ohne Religion".
Da passt meines Erachtens der Spruch der Beatles, welcher am Hard Rock Café in Ain Mreise in Beirut steht: „The Time will come when you see we are all one“. (Die Zeit wird kommen, wenn du sehen wirst, dass wir alle Eins sind.)
Hoffentlich werden dies, auch mit Hilfe der Zivilehe, die Libanesen und die politisch sowie religiösen Führer bald einsehen. Ein friedliches Miteinander und Füreinander aller Libanesen, statt den täglichen Machtkämpfen der 18 Religionsgruppen im Libanon – das ist der große Wunsch der von Kriegen geplagten libanesischen Bevölkerung.
Kholoud war bei der offiziellen Anerkennung ihres Ehevertrags mit Nidal im vierten Monat schwanger. So wird zumindest dieses Kind schiitische und sunnitische Onkel, Tanten und andere Verwandten haben. Für das Kind steht dann hoffentlich nicht mehr die Religionszugehörigkeit im Vordergrund, sondern der Mensch, die Familie…
Es gibt natürlich auch Fälle, in welchen Eltern nicht mehr mit ihren
erwachsenen Kindern nach einer vollzogenen „Mischehe“ sprechen und diese
oft enterben (Du bist nicht mehr meine Tochter! bzw. Du bist nicht mehr
mein Sohn!).
Andere wiederum dulden bzw. respektieren zwar eine solche Ehe und die Familie der
anderen Religionsgruppe. Sie erfüllen die traditionellen respektvollen Pflichten
ihnen gegenüber. Manche nehmen sie auch in ihre Familien als Familienmitglied
herzlich auf. In beiden Fällen können sie sich jedoch innerlich noch
nicht mit dieser „Mischehe“ abfinden. Vielleicht braucht diese Akzeptanz
aber auch noch ein bis zwei Generationen, innerhalb dieser Familien.
Wenn sich die Zivilehe rechtlich etabliert hat, wird die Akzeptanz aller auch seine
Zeit brauchen... Bei der Jugend wird es wohl schneller gehen...
Quellen u.a.:
„A couple holds first civil marriage in Lebanon“
vom 18.1.2013, 23.40 Uhr in: YA LIBNAN: (gelesen: 25.04.2013)
„Congratulations
for Lebanon: civil marriage dream came true“
vom 25.4.2013: 20:35 Uhr auf MTV (gelesen: 25.04.2013)
(später geänderter
Titel: Civil Marriage
Claws Its Way out of Dismissal)
„
Lebanon's first civil marriage registered: agency“ von Serene Assir auf
Yahoo!News, vom 25.4.2013 (gelesen: 25.04.2013)
„Zivilehe
im Libanon“ von Björn Blaschke: gesendet am
03.03.2013 auf NDR Info: ECHO DER WELT – Das Auslandsmagazin.
„Civil
Marriage in Lebanon has become a reality?“, gepostet am 18.1.2013
auf The
Lebanese Expatriate
(gelesen und Video: 28.04.2013):
Weitere Infos
„Zivilehe
im Libanon: Bis dass die Religion Euch scheidet“ von Bodo Straub auf Alsharq,
vom 1.2.2013 (gelesen: 25.04.2013).